CORONA – KRISE ODER CHANCE? SO ERLEBEN 3 FÜHRUNGSKRÄFTE DIE WIRTSCHAFTLICHE LAGE DIESER ZEIT

Worldwide shutdown. Die derzeitige, nie dagewesene wirtschaftliche Situation stellt uns alle vor Herausforderungen. HR factory hat drei Entscheider:innen befragt, wie sie mit den aktuellen Veränderungen in ihren Unternehmen umgehen, welche Lösungsansätze sie implementieren und ob sich in der Gesamtbilanz gegebenenfalls auch ein positiver Aspekt für die Zeit nach der Krise erkennen lässt.

Im Interview:

 

 

 

 

Vor welche Herausforderungen stellt Sie die derzeitige Corona-Krise?

Dr. Ann-Christine Hamisch:

Im Bereich Personalgewinnung und -entwicklung haben wir natürlich ganz konkret die Herausforderung, dass unser Geschäft immer darauf abzielt, Menschen zusammenzubringen – bei Veranstaltungen im Personalmarketing, bei Vorstellungsgesprächen im Recruiting, in der Ausbildung oder bei Fortbildungsveranstaltungen. Da dies aktuell nicht geht, haben wir unsere Prozesse hier sehr schnell umgestellt und machen nun vieles online.

Nadine Knauer:

An erster Stelle steht natürlich der Schutz unserer Mitarbeiter*innen hinsichtlich Gesundheit, aber auch in Bezug auf ihre finanzielle Lebenssituation. Dazu zählt vor allem die Ermöglichung von Homeoffice und, wenn ich hier explizit für den Bereich Learning & Development spreche, Angebote, die unsere Teams von zu Hause wahrnehmen können und die vielleicht auch gleichzeitig dabei helfen, weiterhin soziale Kontakte eben nun digital zu ermöglichen. Auch für neue Mitarbeiter*innen mussten wir schnell umstellen und eine erste Einarbeitung digital von zu Hause realisieren.

René Demin:


Uns begegnen durch die aktuelle Situationen Herausforderungen in drei Dimensionen:
Zunächst stellen wir uns die Frage, wie wir es schaffen können, strukturell effektiv und effizient im Homeoffice und später dann unter angemessenen Hygiene Auflagen zu arbeiten, zu kommunizieren, zu entscheiden und Projekte voranzubringen.

Dann gibt es aber natürlich auch strategische Fragestellungen: Welches unserer Tätigkeitsfelder ist wie stark betroffen? Wo ergeben sich Zwangspausen oder Verzögerungen in der Geschäftsjahresplanung? Und wo ergeben sich neue ungeahnte Chancen?
Last but not least sind wir auch mit der Herausforderung konfrontiert, dass wir eine sehr nahbare, kommunikative und herzliche Unternehmenskultur haben, die stark an Teamarbeit orientiert ist. Auch hier müssen wir aktuell neue Wege des Zusammenwirkens finden und für uns anpassen.

An welchen Lösungen arbeiten Sie derzeit in Ihren Teams und Unternehmen?

Dr. Ann-Christine Hamisch:


Natürlich gibt es viele geplante Events, wie große Personalmarketing-Veranstaltungen, die derzeit nicht realisierbar sind. Dafür setzen wir aber z.B. aktuell auf Videointerviews im Recruiting und machen das Onboarding neuer Mitarbeiter:innen per Videokonferenz mit Desktop-Sharing. Bis dato haben wir damit wirklich gute Erfahrungen gemacht und bereits erste Einstellungen getätigt. Auch unsere teils bestehenden, teils erst ins Leben gerufenen Online-Weiterbildungsangebote, z.B. in der Führungskräfteentwicklung, erleben aktuell regen Zulauf. Unsere Veränderungsmanager halten momentan natürlich keine Workshops in persona ab; sie designen nun Online-Workshops und unterstützen unsere Führungskräfte im Umgang mit der neuen Situation.

Wir haben insgesamt ca. 400 Azubis – auch sie arbeiten jetzt, wo immer möglich, im Homeoffice. Unsere Ausbilder:innen investieren viel, um die Ausbildung aufrechtzuerhalten und die Situation bestmöglich zu nutzen. So erstellen sie z.B. selbst kleine YouTube Videos, um den Azubis den Lehrstoff zu erklären und testen weitere Lernplattformen.

Generell befanden wir uns bei den SWM glücklicherweise in einer verhältnismäßig guten Ausgangsposition, da wir bereits flächendeckend auf IT-Arbeitsplätze umgestellt und langjährige Erfahrung mit Homeoffice haben. Wir versuchen in der Krise einerseits auf die besondere Situation einzugehen, andererseits muss das Tagesgeschäft, insbesondere für uns als Energieversorger und Betreiber kritischer Infrastruktur, natürlich weitergehen.

Unsere Notfallpläne greifen hier hervorragend. Unsere Lösungsansätze sind einerseits technischer Natur. Zum Beispiel ist es unserer IT innerhalb von wenigen Tagen gelungen, ein extrem stabiles Netz für 4.000 Kollegen, die jetzt im Homeoffice arbeiten können, herzustellen. Daneben geht es vor allem darum, die Mitarbeiter:innen gut durch diese unsichere Zeit zu begleiten. Dazu haben wir neben normalen Besprechungen z.B. virtuelle Kaffeepausen eingerichtet und begleiten neue Teammitglieder, die jetzt bei den SWM anfangen mit täglichen Checks-ins. Für den Konzern haben wir zudem Guidelines erstellt, wie das Onboarding in diesen Zeiten zu gestalten ist. Konzernweit profitieren wir außerdem von einer sehr guten Vorbereitung auf die Krise, z.B. durch einen regelmäßig tagenden Krisenstab, eine hervorragende interne Kommunikation und klare Vorgaben – das vermittelt den Mitarbeiter:innen Sicherheit in dieser ungewöhnlichen Situation.

Nadine Knauer:

Ergänzend zu Homeoffice und Co., sowie der digitalen Integration neuer Kolleg:innen arbeiten wir in meinem Team vor allem daran, auch digitale Formate wie virtuelle Sportkurse, Kochevents oder Fun-Challenges möglich zu machen sowie diese digital zu begleiten und zu moderieren. Die Intention dahinter ist, unseren Mitarbeitenden auch im Homeoffice die Möglichkeit zu bieten, sich körperlich und mental fit zu halten. Erste Einsätze dieser Art werden wir bereits in Kürze realisieren können. Dabei geht es vor allem um Teamentwicklung und Teamzusammenhalt, aber auch um die Begleitung aktueller Herausforderungen im Business. Für Anfang Mai planen wir ein großes HR Meeting für unsere Region Europa Nord, welches wir natürlich derzeit auch nur digital abhalten können. In diesem Rahmen werden wir unsere Möglichkeiten in größerem Umfang testen. Insbesondere sind wir gespannt, wie unsere digitalen Tools und Ideen bei Workshops mit mehreren Untergruppen funktionieren. Bereits vor Corona hatten wir uns bis 2022 verschiedenste digitale Ziele gesteckt. Nun geht dies deutlich schneller voran – auch aufgrund der Offenheit der Nutzer. So konnten wir direkt nach dem Start der Homeoffice Phase mehrere neue digitale Angebote lancieren. Normalerweise dauert es von der Konzipierung bis zum Go Live eines solchen Angebots eher mehrere Wochen bis Monate, je nach Komplexität des Themas.

René Demin:


Wir haben derzeit Glück im Unglück: Die Jochen Schweizer mydays Group arbeitet schon seit einiger Zeit mit agilen Konzepten und hat bereits seit Längerem einen großen Fokus auf Selbststeuerung gesetzt. Diese Tatsache kommt uns jetzt zugute. Wir haben für die wichtigsten und dringendsten Handlungsfelder knackige und entscheidungsfreudige Task-Forces gebildet. Hier wird in schnellen Abstimm- und Konzeptionsschleifen nach iterativem Ansatz gearbeitet und die Wirksamkeit der Maßnahmen verfolgt. Meiner persönlichen Meinung nach war es noch nie nötiger als jetzt, diese derzeit komplexen Zusammenhänge durch agiles Arbeiten im klassischen Wortsinn zu managen.

Wenn Sie auch einen positiven Aspekt für die Arbeitswelt von morgen aus der momentanen Situation ziehen könnten, welcher wäre dies?

Dr. Ann-Christine Hamisch:


Ich bin mir sicher, dass die Arbeitswelt nach Corona nicht mehr so sein wird wie zuvor. Selbst in einer Abteilung wie unserer, die vorher schon geübt war im Umgang mit Homeoffice, machen wir heute Dinge online, die wir uns noch vor ein paar Wochen nicht hätten vorstellen können, wie z.B. Onboarding Veranstaltungen. Momentan wird aufgrund der Umstände auch einfach viel ausprobiert und überraschend vieles davon funktioniert sehr gut. Auch erleben wir, dass Prozesse, die jahrelang unantastbar schienen, nun sehr schnell angepasst oder gar aufgegeben werden, um in der Krise gut und schnell reagieren zu können. Ich wünsche mir, dass vieles von diesem „ausprobieren“ uns auch jenseits der Krise erhalten bleibt. Ich hoffe auch, dass viele Bereiche, für die z.B. Homeoffice eine neue Erfahrung ist, jetzt erkennen, das mit entsprechendem Vertrauen und guter Kommunikation viel mehr machbar ist, als bisher gedacht und dass wir alle mehr Mut entwickeln, moderne oder bislang noch nicht übliche Arbeitsformen zu testen.

Letztlich erlebe ich inmitten all der Unsicherheit gerade auch sehr viel Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung und ich wünsche mir, dass wir uns auch dies bewahren können – sozusagen als Blick darauf, was wirklich wichtig ist im Leben. Dies spüren im Übrigen auch viele unserer Mitarbeiter:innen, die gerade für München im Einsatz sind, z.B. unsere Fahrer:innen von Bus, U-Bahn oder Tram, welchen aktuell sehr viel Wertschätzung und Dankbarkeit zu Teil wird.

Nadine Knauer:


Ich denke, dass es trotz der derzeitigen Herausforderungen auch positive Aspekte für die Arbeitswelt von morgen geben wird. Homeoffice z.B. wird gerade auch im industriellen Umfeld „normaler“ sein denn je – eine Entwicklung, die sehr erfreulich und hilfreich ist. So turbulent die derzeitige Phase für uns und andere Unternehmen und ihre Mitarbeiter:innen auch ist, so hat sie in jedem Fall klar bewiesen, dass es funktionieren kann. Wir haben durch die vergangenen Wochen eine neue Art der Zusammenarbeit – digital und dezentral – kennengelernt, die wir uns auch in Zukunft bewahren möchten. Ebenso wird das künftige Schulungs- und Weiterbildungsangebot deutlich digitaler sein und diese Angebote werden auch stärker angenommen werden als es bisher der Fall war.  Ich freue mich, diesen digitalen Weg zusammen mit meinem Team und allen Mitarbeiter:innen der Michelin Reifenwerke zu gehen und sehe darin eine Möglichkeit auch länderübergreifend innerhalb der Region Europa Nord noch weiter zusammen zu wachsen.

René Demin:


Wenn Sie mich fragen: ich denke, es verhält sich wie auch in anderen Krisen: das heißt, die Stärken der Menschen kommen deutlich stärker zum Vorschein als in „normalen“ Situationen. Ungeahnte Talente, Fähigkeiten zum Improvisieren und „um die Ecke denken“ werden derzeit sichtbar. Manches geht viel schneller als vorher. Ebenfalls beobachte ich angesichts der momentanen Situation, dass es plötzlich leichter ist, „heilige Kühe“ in der Organisation zu schlachten und Paradigmen in Frage zu stellen. Ich glaube, dass dieses „erzwungene Zusammenrücken auf Distanz“ unsere Kultur und den Zusammenhalt nachhaltig positiv prägen wird. Ich freue mich, diese neue Facette der Arbeitswelt von morgen zusammen mit allen Mitarbeiter:innen der Jochen Schweizer mydays Group mehr und mehr zu entdecken und zu erleben.

Wir bedanken uns bei unseren Interviewpartner:innen für ihre Zeit, die sehr interessanten und wertvollen Einblicke in ihre aktuelle Arbeit und wünschen ihnen und ihren Teams sowie all unseren Leser:innen viel Gesundheit und Kraft für die kommenden Wochen und die Zukunft nach Corona.