Remote First: Wunsch und Wirklichkeit

Nach Pandemie und der (vermeintlichen) Rückkehr ins Büro ist nun die Debatte um eine grundsätzliche Haltung zu Homeoffice und Remote First in vollem Gange.

Das Spektrum an Positionen zu dem Thema ist dabei weit gefasst. So hat sich beispielsweise Elon Musk meinungsstark gegen mehr Remote Work positioniert (er findet es unfair, dass Homeoffice nur für manche Jobs umsetzbar sei), während andere, wie z.B. der renommierte HR Analyst Josh Bersin, eine pragmatischere Haltung zu dem Thema empfehlen.

Gleichzeitig haben natürlich auch die Arbeitnehmer:innen selbst ihre eigenen Sichtweisen und Bedürfnisse hinsichtlich Remote Work. In dieser unübersichtlichen Gemengelage wird es zunehmend schwierig, den aktuellen Stand zu Remote Work zu durchblicken und eine klare Tendenz für die Zukunft auszumachen.

Um dem Gewirr etwas mehr Transparenz zu verschaffen, wollen wir uns in diesem Blogbeitrag ansehen, was der aktuelle Stand zur Umsetzung von Remote Work ist, welche Faktoren die Perspektiven der Arbeitnehmer:innen beeinflussen, worauf Arbeitgeber dabei bedacht sind und welche Strategien Unternehmen langfristig mit Remote Work verfolgen.

1. Die aktuelle Lage: Arbeitsplatz vs. Remote

Zunächst einmal lohnt sich ein Blick auf die Zahlen. Laut einer Umfrage des Münchner Ifo-Instituts vom April 2023 arbeiten etwa 24% der Arbeitnehmer:innen in Deutschland zumindest teilweise aus dem Homeoffice. Vor der Pandemie waren es nur ca. 10%.

Der internationale Vergleich: Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Gallup aus den USA zeigen für das vergangene Jahr, dass ca. 30% der Arbeitnehmer:innen in remote-kompatiblen Jobs komplett aus dem Homeoffice arbeiteten, ca. 50% in hybriden Modellen und nur ca. 20% komplett am Arbeitsplatz.

Der von Gallup erwartete Rückgang des Anteils der remote Arbeit ist zumindest in Deutschland bisher nur ansatzweise zu erkennen. So sank der Anteil an Homeoffice zwischen Februar und April 2023 trotz aller Debatten um nur 0,7%.

Wichtig zu beachten sind dabei Unterschiede zwischen Branchen. In der Pharmaindustrie stieg laut ifo Institut der Anteil an Remote Work kürzlich von 21,6% auf 32,8%, während er bei Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern von 47,1% auf 40,1% sank.

Wenig überraschend zeigen sich generell deutliche Unterschiede zwischen jenen Branchen, die Anwesenheit erfordern (wie z.B. die Gastronomie mit nur 1,6% Remote Work) und jenen, bei denen die Arbeit meist problemlos von zuhause erledigt werden kann (wie z.B. der IT mit ca. 70% Remote Work).

2. Remote First: Arbeitnehmer:­innenperspektive

Nun sagt der Ist-Zustand nicht zwingend etwas über die tatsächlichen Präferenzen der Arbeitnehmer:innen hinsichtlich Remote Work aus. Eine Umfrage von Gallup unter 8090 Arbeitnehmer:innen aus remote-kompatiblen Jobs in den USA gibt hier detaillierte Einblicke:

  • Ca. 90% der Arbeitnehmer:innen in remote-kompatiblen Jobs wünschen sich ein gewisses Maß an Flexibilität und ca. 80% erwarten das auch von ihren Arbeitgebern.
  • Von diesen Arbeitnehmer:innen präferieren die meisten eine zwei- oder dreitägige Anwesenheit im Büro pro Woche. Die Präferenzen sind aber generell breit gefächert, da sich viele auch gar keine oder nur eine eintägige Anwesenheit pro Woche wünschen.
  • Eine Unterteilung nach unterschiedlichen Karrierestufen zeigt kaum Unterschiede hinsichtlich der Verteilung dieser Präferenzen.
  • Die Tage Montag und Freitag sind die am wenigsten präferierten Büroarbeitstage.

Mit Hinblick auf die Wünsche der Arbeitnehmer:innen zum hybridem Arbeiten sticht vor allem eine Erkenntnis aus der Studie heraus:

„Hybride Mitarbeitende, die nicht im Büro sein müssen, sind derzeit engagierter und glauben eher, dass sich ihr Unternehmen um ihr Wohlbefinden kümmert. Diese hybriden Mitarbeitenden haben auch ein geringeres Burnout und geben an, dass sie ihr Unternehmen in naher Zukunft seltener verlassen werden als diejenigen, die eine bestimmte Anzahl von Tagen im Büro sein müssen.“ (Gallup)

Es scheint also, als habe Remote Work einerseits einen positiven Effekt auf das Engagement der Mitarbeitenden und andererseits, als ob das entgegengebrachte Vertrauen zu einer stärken Bindung zwischen den Mitarbeitenden und ihren Arbeitgebern führen würde.

Diese Einschätzung deckt sich auch mit Gallups Erkenntnis, dass ein kollaboratives Entwerfen des hybriden Arbeitsmodells (ggü. einer top-down Verordnung durch den Arbeitgeber) stark von Arbeitnehmer:innen gewünscht wird und sich in höherem Engagement bemerktbar macht.

3. Arbeitgeberperspektive: Bindung & Performance

Für Arbeitgeber ist die Diskussion um Remote First nicht selten mit Sorgen verbunden. So existiert beispielsweise die Befürchtung, dass der interne Austausch und die Bindung der Mitarbeitenden unter zu viel Homeoffice leiden könnten.

Tatsächlich empfiehlt der HR Analyst Josh Bersin basierend auf seiner langjährigen Erfahrung ein Mindestmaß von ein bis zwei Tagen Anwesenheit im Büro pro Woche. Vor allem für junge Angestellte sei das eine wichtige Voraussetzung, um die Kultur eines Unternehmens kennenzulernen.

Aber auch die Sorge um ein geringeres Maß an Produktivität bereitet dem ein oder anderen Arbeitgeber Kopfschmerzen. Nicht wenige von ihnen greifen daher im Rahmen des Performance Managements auf technologische Lösungen zurück. Solche Technologien können beispielsweise all jene Aktivitäten der Mitarbeitenden identifizieren, die keinen Bezug zum Job haben z.B. beim Browsing im Internet. Auf der anderen Seite können solche Technologien aber auch eingesetzt werden, um zu erkennen, wenn der Workload für einzelne Mitarbeitende zu groß wird.

Unabhängig von der konkreten Anwendung solcher Technologien gilt natürlich das Recht auf Privatsphäre der Mitarbeitenden. Ohne deren konkrete Zustimmung sind daher die Möglichkeiten technologischer Überwachung der Mitarbeitenden in Deutschland stark eingeschränkt.

Ohnehin sollten die Erkenntnisse aus dem vorangegangenen Kapitel verdeutlichen, dass Vertrauen und ein kooperatives Entwerfen von Performance Metriken dauerhaft zu höherem Engagement führen können als Misstrauen und Überwachung.

4. Der aktuelle Stand zu Remote-Strategien

Für Unternehmen geht die Frage nach hybrider Arbeit mit einigen strategischen Überlegungen einher. Diese betreffen beispielsweise den Einsatz von Technologien, das Erfassen von Daten und die Organisation des Arbeitsplatzes.

Im Zuge einer Umfrage stellt McKinsey & Company fest, dass viele Unternehmen zwar technologie- und datenbezogene Maßnahmen treffen, aber selbst die Fortschrittlichsten unter ihnen keine ganzheitliche Herangehensweise – also ein „wahrhaft hybrides“ Modell, wie McKinsey sagt – implementiert haben:

„Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass fast ein Drittel der von uns abgefragten Strategien, darunter die Erhebung von Sentimentdaten der Mitarbeitenden und die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit, konsequent umgesetzt werden. Ein weiteres Drittel der Prozesse, die wir als bewährte Praktiken identifiziert haben – wie z. B. die Nutzung moderner Arbeitsplatztechnologien und die Schaffung von Systemen für ortsunabhängiges Arbeiten – wurde nach eigenen Angaben von einer kleineren Anzahl von Unternehmen übernommen. Ein weiteres Drittel der Best Practices, darunter die Einführung eines Test- und Messsystems und die Dokumentation von Prozessen, wird selbst von den fortschrittlichsten Unternehmen nicht angewandt.“ (McKinsey)

Zwar räumt McKinsey ein, dass die zwölf eigens definierten Praktiken (siehe Abbildung) für eine ganzheitliche Remote-Strategie viel Arbeit erfordern würden, doch seien die Vorteile (z.B. Einsparungen bei Büromieten, höhere Mitarbeitendenzufriedenheit- und performance) so eindeutig, dass sich der Aufwand lohne.

Ersten Errungenschaften zum Trotz scheint es also, als seien „althergebrachte Glaubenssätze“ und „das Zurückfallen auf Gewohnheiten“ signifikante Hindernisse für eine wahrhaft hybride Arbeitswelt.